Unternehmensgründungen - damals und heute

Mit dieser Frage hat sich unser Geschäftsführer Ralf Schneider beschäftigt. Der Artikel wurde im Jubiläumsband des Instituts für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren „50 Jahre AIFB“ veröffentlicht.

„Früher war alles besser – früher war alles gut“ so beginnt ein Song der Toten Hosen. Und tatsächlich hat mich damit ein junger Startup-Gründer neulich konfrontiert. „Damals hatten es junge Unternehmer einfach leichter“. Ich muss zugeben, ich war ein bisschen empört, bedenkt man all die Hilfen und Unterstützungen, die heute Startups allein vom Staat erhalten. Doch nach längerem Nachdenken wurde mir klar, dass auch heute nicht alles so leicht ist, wie es im ersten Moment erscheint. Es ist anders.

Unternehmensgründungen aus der Hochschule heraus waren in den 70er oder 80er Jahren nicht nur ungewöhnlich sondern noch mit sehr vielen Vorbehalten verbunden. Als Herr Prof. Dr. Stucky und Herr Krieger 1981 die ISB gründeten (dafür kann ich nicht oft genug „Danke“ sagen), wurde das seitens der Universitätsverwaltung sehr kritisch gesehen. Irgendwie herrschte da die Meinung vor, dass Professoren mit solchen Vorhaben etwas Böses im Schilde führen, Universitätsmittel verschleudern oder sich gar auf Kosten der Universität bereichern wollten. Im Gegensatz zu heute war sehr viel Überzeugungsarbeit notwendig. Erst zum 25. Jubiläum des Universitätsinstituts wurde diese wie auch die vielen anderen erfolgreichen Unternehmensgründungen aus dem Institut heraus als „zukunftsträchtige Entscheidungen“ und als „Vorbild der Startup-Generierung“ hervorgehoben. Heute ist das völlig anders. Die Gründung von Startups aus der Universität heraus wird nicht nur begrüßt sondern massiv unterstützt.

Warum hat man damals gegründet? Um den Lebensunterhalt bis zum Berufsende sicherzustellen? Um einen höheren Lebensstandard zu erreichen? Meist ging es um mehr: Ein Lebenswerk aufzubauen und der nachfolgenden Generation etwas weiterzugeben. Es wurde gegründet, um zu vererben. Der neumodische Begriff „Nachhaltigkeit“ musste damals noch nicht angepriesen werden, er war in den Genen der Gründer.

Heute wird schon bei der Gründung über den Ausstieg, über eine ExitStrategie, nachgedacht. Es wird gegründet, um den Wert des Unternehmens permanent zu steigern, zu verkaufen und im Anschluss etwas Neues zu beginnen.

Eine zentrale Frage der Gründung und des späteren Wachstums war und bleibt die Finanzierung. Heute stehen dem Gründer so viele Möglichkeiten zur Verfügung, dass er schon sehr genau abwägen muss, welche Finanzierung seine Strategie am besten unterstützt: Bootstrapping (so nennt man heute eine eigenständig finanzierte Firmengründung ohne Fremdkapital), Fördermittel, Gründungszuschüsse (wie z.B. EXIST, Horizon2020, KMUinnovativ, ProFIT oder Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand ZIM), die Teilnahme an Gründerwettbewerben, Bankkredite, Venture Capital, die Finanzbeteiligung von Business Angels oder Crowdfunding sind nur einige der Möglichkeiten, die mir spontan einfallen. Ich weiß: Das alles klingt einfacher als es in Wirklichkeit ist. Denn trotz der vielfältigen Finanzierungsmöglichkeiten gibt es kein Geld ohne einen überzeugenden Business Plan.

Hatte man aber damals nicht genügend Eigenmittel zur Verfügung und wollte sich auch nichts bei Freunden oder in der Familie leihen, gab es prinzipiell nur zwei Optionen. Man ging entweder zur Bank, für die es bis in die 90er Jahre hinein aber selbstverständlich war, gute Geschäftsideen finanziell zu unterstützen (das hat sich meiner Meinung nach geändert, da ich heute viele Banken als erheblich risikoaverser wahrnehme). Oder aber man unterwarf sich einer strengen Cashflow-Orientierung. Man gab halt nur das aus, was man einnahm. Eine Strategie, für die ich heute bei ganz vielen jungen Leuten belächelt werde, obwohl diese Methode einen ganz entscheidenden Vorzug hat. Man lernt von Anfang an Kunden- und Marktorientierung, indem man nur Leistungen und Produkte erstellt, die auch verkauft werden können. Und das nicht irgendwann, sondern gleich. Jahrelange Entwicklungen, die dann nicht am Markt abgesetzt werden können, sind damit genauso wie Unicorns, die gerade einmal 10 Mio. € Umsatz pro Jahr erwirtschaften (ja, so etwas gibt es), undenkbar.

Eine der wichtigsten Triebfeder einer Unternehmensgründung war auch immer die eigene Unabhängigkeit, deren Bedeutung aber in meiner Wahrnehmung nachgelassen hat. Das drückt sich auch in der Sprache aus. Statt „Ich habe mich selbständig gemacht“ heißt es heute „Ich bin ein Gründer“ oder „Ich habe ein Startup gegründet“. Auch ein organisches Wachstum von Unternehmen wird seltener. Früher war das fast selbstverständlich. Man hatte aber auch die Zeit, sich einen Markt aufzubauen und nur das Geld zu investieren, was man vorab eingenommen hat.

Heute wird bedingt durch die mit dem Internet verbundene Transparenz jede neue Idee sehr schnell kopiert. Damit ist man gezwungen, den Wissensvorsprung nicht zu verlieren und schneller als der Wettbewerb zu wachsen. Innovative Startups folgen heute ganz häufig dem Silicon Valley Modell, möglichst schnell in ein exponentielles Wachstum zu kommen. Dabei ist es für die meisten Gründer zunächst zweitrangig, ob sie bereits Umsatz- und Gewinnzahlen oder nur Nutzerzahlen, Leads oder Klicks dokumentieren können. Die Annahmen beruhen darauf, dass es mit sogenannten disruptiven Geschäftsmodellen in der digitalen Welt gelingt, hohe Wachstumsraten mit geringen Grenzkosten zu erzielen. Disruptiv müssen die neuen Geschäftsmodelle sein, weil sie eine bestehende Nachfrage auf ihr Angebot umlenken bzw. eine neue Nachfrage erzeugen müssen. Das digitale Umfeld erlaubt ein solches Wachstum bei niedrigen Kosten, weil die Akquisition neuer Kunden deutlich günstiger ist als in der „analogen“ Welt. Das aber setzt voraus, dass immer wieder neuer Kapitalbedarf gedeckt werden muss, Investoren schießen immer wieder frisches Geld ins Unternehmen oder neue Investoren kommen dazu. Die Anteile der Gründer werden bei diesen Finanzierungsrunden immer mehr verwässert. Nach 5–10 Jahren ist man dann häufig gezwungen zu verkaufen, da viele externe Investoren einen ROI sehen wollen und dieser nur über einen Verkauf erzielbar ist.

Früher wurden viele Unternehmen durch einen einzigen Gründer aufgebaut. Der hatte Zeit sich fehlende Kompetenzen anzueignen. So brachte sich der Techniker das notwendige BWL-Know-how bei oder der Betriebswirt eignete sich die notwendigen technischen Skills an, um die Aussagen der Ingenieure oder Informatiker mindestens nachvollziehen zu können. 

Heute hingegen gründet man als komplementäres Team, das alle notwendigen Kompetenzen vereint. Fehlende Erfahrung und das, was man noch nicht weiß, eignet man sich mittels Coaching durch Business Mentoren oder Acceleratoren an. So gibt es zum Beispiel in Karlsruhe abgesehen von einem großen Business Angel-Netzwerk zahlreiche Initiativen wie z.B. das CyberLab, das Center for Interdisciplinary Entrepreneurship (CIE) am KIT, die KIT Gründerschmiede oder die Pioniergarage, die bei der Gründung und beim Aufbau mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Qualifizierte und engagierte Mitarbeiter*innen sowie kompetente Führung sind bis heute die Erfolgsfaktoren jedes Unternehmens. Während Mitarbeiter*innen früher aber selten das Unternehmen verließen und man sich über einen sehr langen Zeitraum auf geringe Fluktuation verlassen konnte, ist heute ein deutlich höherer Aufwand erforderlich, um gute Kolleg*innen zu binden.

Zusammengefasst ist die Frage also, ob es vor 40–50 Jahren oder aber heute leichter ist ein Unternehmen zu gründen, nicht eindeutig beantwortbar. Heute stehen einem zwar mehr Unterstützungen finanzieller und organisatorischer Form zur Verfügung; dafür ist man aber mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit von technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen konfrontiert.

Trotz aller Unterschiede aber bleibt eines gleich. Gestern wie heute benötigen Unternehmensgründer ein hohes Maß an Offenheit, Integrität, Empathie, Ehrgeiz, Fleiß und Durchhaltevermögen. Immerhin – es ändert sich nicht alles.