OZG - Und was kommt jetzt?

Corona-Krise und Ukraine-Krieg haben auch gezeigt, dass Digitalisierung für eine moderne Verwaltung unverzichtbar geworden ist. Vor welchen Herausforderungen steht hier die Öffentliche Verwaltung?

Die Corona-Krise hat vieles möglich gemacht, was vorher noch undenkbar gewesen wäre. Videokonferenzen wurden auf einmal selbstverständlich, Hunderttausende von Beamten und öffentlich Angestellten arbeiten seitdem von daheim, zentrale Tools wie der Universalprozess in Baden-Württemberg wurden unkompliziert zur Verfügung gestellt und über die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) wurde nicht mehr nur philosophiert, sondern endlich auch deren Umsetzung angepackt. Und dennoch wurde auch jedem bewusst, dass es bis zur digitalen Verwaltung noch ein sehr langer Weg ist.

Der Ukraine-Krieg hat dieses Bild noch verschärft. Die digitale Widerstandsfähigkeit, die Sicherheit unserer kritischen Infrastrukturen und unsere digitale Souveränität ist seit einigen Wochen in aller Munde. Der Umbau unserer Energieversorgung, der Erhalt unserer Mobilität und der Schutz von Klima und Umwelt können nur mit massiver digitaler Unterstützung verwirklicht werden. Die Einsicht darüber ist inzwischen überall angekommen: in der Wirtschaft, beim Bürger und auch in der Verwaltung. Überzeugungsarbeit ist definitiv keine mehr erforderlich. Wir haben – nach der BITKOM – kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem.

Dazu muss der mit dem OZG initiierte Weg konsequent fortgesetzt werden. Bisherige Hindernisse und Hemmnisse müssen aus dem Weg geräumt und – genauso wichtig – endlich die Rahmenbedingungen für eine Digitale Verwaltung geschaffen werden. Dabei sind insbesondere die folgenden Herausforderungen anzugehen:

  • eGovernment-Basisfunktionalitäten: Soll die Digitalisierung der OZG-Leistungen erfolgreich werden, bedarf es einer erheblich konsequenteren Umsetzung der grundlegenden eGovernment-Basisfunktionalitäten. Eine elektronische Akte muss flächendeckend bereitgestellt werden. Standards müssen dabei sicherstellen, dass Akten auch behördenübergreifend ausgetauscht werden können. Eine benutzerfreundliche und deutschlandweit akzeptierte elektronische Identifikation ist Grundvoraussetzung für Once-Only. Und schließlich bedarf es einer Registermodernisierung, die vom Bund, von allen Ländern und Kommunen mitgetragen wird.
  • Integration: Es reicht nicht, wenn Bürger und Wirtschaft Verwaltungsleistungen online nutzen können, sondern diese müssen auch komplett in die IT-Landschaft der Behörden eingebunden sein. Den Bauantrag digital abrufbar zu machen, ist das eine, aber auch die Weiterbearbeitung muss ohne Medienbrüche umgesetzt werden, die digitalisierten Verwaltungsleistungen müssen vollständig in die bestehenden Fachverfahren integriert werden. Es kann nicht sein, dass Anträge zwar leicht erfasst werden können, diese dann aber in der Behörde ausgedruckt werden müssen, weil man dort noch Papierakten führt. Auch eine Neuerfassung aller Daten in ein bestehendes Fachverfahren verhindert den erhofften Produktivitätsgewinn. Eine Fachanwendungsintegration muss deshalb bei jeder OZG-Verwaltungsleistung mitgedacht werden.
  • Infrastruktur: Der Ausbau schneller und überall verfügbarer Breitbandanschlüsse muss noch erheblich forciert werden. Wir reden vom autonomen Fahren, haben aber nahezu in jedem Landkreis noch weiße Flecken, die immer noch nicht über die nötige Bandbreite verfügen und solche Technologien auf noch lange Zeit unmöglich machen.
  • Cybersicherheit: Der Krieg in der Ukraine wird vermutlich in zunehmendem Maße von Hackerangriffen begleitet. Die zumeist unbekannten Verursacher zielen vor allem auf kritische Infrastrukturen sowie Anbieter von digitalen Netzen und Diensten. Für das BSI ist zwar aktuell noch keine akute unmittelbare Gefährdung der Informationssicherheit in Deutschland im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine ersichtlich. Diese Bewertung kann sich aber nach Einschätzung des BSI jederzeit ändern. Deshalb bedarf es einer erheblichen Forcierung aller Bemühungen, unsere kritische Infrastruktur sicherer zu machen.
  • Datenschutz: Datenschutz ist ein hohes schützenswertes Gut in der Demokratie. Autokratische Staaten zeigen aktuell, wie Menschen überwacht und gegängelt werden, wenn diesem Aspekt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aber: Datenschutz darf auch nicht zum Selbstzweck werden. Jeder Fall muss individuell analysiert und die Chancen und Risiken müssen gegeneinander abgewogen werden. So beschneidet man – meiner Meinung nach – Schulen, denen der Einsatz von Microsoft Teams verboten wird, in ihren Digitalisierungsbemühungen. MS Teams speichert zwar tatsächlich Zugangsdaten, aber blendet man dabei ein, um welche Daten von Schülern oder Lehrern es tatsächlich geht, ist das Risiko doch – wenn man ehrlich ist – gegenüber den Chancen vertretbar. „Zu Tode gefürchtet ist eben auch gestorben.“
  • Fachkräftepaket: Die IT-Fachkräftelücke ist ein echter Bremsklotz für die Digitalisierung in Deutschland. Weder die Wirtschaft noch die Öffentliche Verwaltung findet aktuell die Mitarbeiter, um die zahlreichen Digitalisierungsaufgaben schneller und konsequenter umzusetzen. Wir brauchen deshalb ein ambitioniertes Fachkräftepaket, bestehend aus einer Weiterbildungsoffensive, Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Informatik und digitaler Wirtschaft sowie weitere Erleichterungen bei der Zuwanderung von Tech-Fachkräften.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das Digitalprogramm 2025, das das Bundeinnenministerium jetzt gestartet hat?

Der mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) eingeschlagene Weg bleibt richtig. Für den Bürger ist es entscheidend, dass er möglichst viele (irgendwann vielleicht auch alle) Verwaltungsleistungen online beantragen und bearbeiten kann, so dass ein Besuch in der Behörde oder ein Telefonat mit dem zuständigen Amt obsolet wird. Deshalb ist es erfreulich, dass das Bundesministerium des Innern (BMI) mit dem neuen Digitalprogramm 2025 auch weiterhin dem klaren Leitmotiv folgt, „dass die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung in erster Linie den Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen dient und zugleich die Leistungsfähigkeit des Staates stärken soll.“ Gleichzeitig sei sicherzustellen, dass unsere Werte auch im digitalen Raum gelten und gelebt werden.

Mit der Fokussierung auf fünf Themenfelder

  1. Staatliche Leistungen für Menschen und Unternehmen digitalisieren
  2. Staat modernisieren
  3. Cybersicherheitsarchitektur modernisieren und harmonisieren
  4. Daten rechtssicher erschließen und nutzen
  5. Digitale Souveränität festigen und interoperable Infrastruktur schaffen

konzentriert sich das BMI auf das Wesentliche.

Und dennoch fehlen (bislang noch) die Details, was man ändern will, um diesmal erfolgreicher zu werden, was man aus den letzten Jahren gelernt hat und was man in Zukunft besser machen will. So kann ich die Kritik von Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach an den von Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgestellten Ideen zur Digitalisierung der Verwaltung zumindest nachvollziehen: „Die Pläne der Bundesregierung sind völlig unzureichend und unkonkret. Viele Fragen bleiben offen. Insbesondere muss die Finanzierung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) über 2022 hinaus dringend sichergestellt werden. Wir erwarten klare, verbindliche Aussagen und konkrete Zeitpläne.“ (https://www.bayern.de/pdf/data/bayernde_89582.pdf)

Der vom BMI eingeschlagene Weg ist dennoch richtig. Aber es braucht eben Maßnahmen, wie erstens die Koordination von Bund, Ländern und Kommunen weiter verbessert wird, dass zukünftig Software-Anwendungen entstehen, die dann wirklich von allen Ländern bzw. Kommunen eingesetzt werden können (Einer-Für-Alle-Prinzip), und zweitens wie das Projektmanagement so aufgesetzt wird, dass Zeitpläne zukünftig realistisch eingehalten werden können.

Es sind nur noch wenige Monate bis zum OZG-Stichtag am Ende des Jahres. Schon jetzt ist absehbar, dass das angestrebte Ziel, die definierten 575 OZG-Leistungen bundesweit zur Verfügung zu stellen, nicht erreicht wird. Nun soll der OZG-Booster mit 35 priorisierten Behördenleistungen das Problem entschärfen. Wie bewerten Sie den OZG-Booster, und wie sollte es danach weitergehen?

Über den aktuellen Status der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) kann man trefflich streiten. Ob man nun alle Verwaltungsleistungen mit dem Reifegrad 2 (online beantragbar) oder nur die mit dem Reifegrad 3 (digitale Abwicklung der gesamten Leistung inkl. aller Nachweise) als im OZG-Sinne „online verfügbar“ charakterisieren darf und ob man Leistungsbündel „online verfügbar“ nennen darf, wenn erst einige der enthaltenen Einzelleistungen digitalisiert sind, kann und will ich hier nicht beurteilen. Ich maße mir nicht an, bewerten zu können, ob nun die Einschätzung des Bundesministeriums des Innern (BMI) oder die des Bundesrechnungshofs (BRH) im Sinne des Gesetzes korrekt ist.

Fakt ist aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber auch, dass noch sehr viel zu tun ist.

Deshalb begrüße ich ausdrücklich den Plan, die im OZG vorgesehenen, aber noch nicht umgesetzten Verwaltungsleistungen auf 35 einzudampfen und diese noch bis Ende des Jahres zu implementieren (OZGBooster). Diese sollen ausschließlich dem „Einer-für-Alle (EfA)“-Prinzip folgen; d.h. es werden die Leistungen priorisiert, die von einem Bundesland entwickelt und betrieben und von anderen Ländern nachgenutzt werden können. Diese Verwaltungsleistungen sollen dann bis zum Ende des Jahres flächendeckend zur Verfügung stehen.

Das allein wird aber nicht reichen. Die Digitalisierung der restlichen Verwaltungsleistungen muss in den nächsten Jahren konsequent fortgesetzt werden. Auch an den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung muss noch weiter optimiert werden:

Statt nur die Anzahl der umzusetzenden Verwaltungsleistungen zu verringern, sollte auch verstärkt darauf geachtet werden, die Komplexität der Verwaltungsleistungen zu reduzieren. Nach Tom de Marco ist eine Softwareanwendung fertig, wenn nichts mehr weggelassen werden kann. Nach unserer Erfahrung wird aber leider immer wieder das umgekehrte Prinzip verfolgt, dass man eine Anwendung erst dann für fertig erklärt, wenn man nichts mehr hinzufügen muss. Ich kann immer wieder nur empfehlen, Softwareanwendungen im ersten Step auf das Wesentliche zu reduzieren – auch mit der Gefahr hin, dass nur 80 % aller Prozesse digitalisiert werden. Andernfalls läuft man immer wieder in die Gefahr, Software mit Features zu überfrachten, die nur selten benötigt werden, die Anwendungen zu überteuern und die Bereitstellung um viele Monate oder sogar Jahre zu verzögern. Auch der Umfang der neuen Anwendungen steigt damit überproportional, so dass die Anwender lange Zeit benötigen, um sich einzuarbeiten und den Umgang zu beherrschen. Mehr Features mit mehr Komplexität machen Software immer komplizierter. Unzufriedenheit ist die Folge.

Des weiteren stoßen wir immer wieder auf die Meinung, dass agile Projekte kein explizites Projektmanagement mehr benötigen. Und so vermisse ich auch bei der Umsetzung des OZG eine Planung von hinten – ganz nach dem Motto „Was muss ich bis wann erreicht haben, um das Projektende sicherzustellen?“. Eine solche Planung findet nach meiner Wahrnehmung nur sehr rudimentär statt; viel mehr Detailplanung und -steuerung ist meiner Meinung nach vonnöten.

Eine weitere wichtige Herausforderung ist eine wesentlich stringentere Durchsetzung des „Eine-für-Alle“-Lösungsansatzes. Die durch unser föderales System bedingten Unterschiede bzgl. Verwaltungsabläufen, Datenmanagement und Verantwortlichkeiten sind so groß, dass es wirklich schwierig ist, gerade fertiggestellte Anwendungen auf alle Bedürfnisse hin anzupassen. In der Wirtschaft ist es selbstverständlich, Anwendungen zu erstellen, die dann für alle Geschäftsbereiche und Tochterunternehmen – manchmal sogar für Lieferanten – ausgerollt werden. Daraus abgeleitet heißt das für Bund, Länder und Kommunen, dass man sich entweder bei der Realisierung eines „EfA“-Projekts aktiv einbringt, um seine eigenen Anforderungen zu formulieren oder aber bereit ist, ggf. Prozesse komplett zu ändern, damit die neue Software passt. Zu warten, bis eine „EfA“-Leistung digitalisiert ist, und dann zu sagen, dass die Anwendung so im eigenen Haus nicht einsetzbar ist, geht dann nicht. Ich weiß, dass das sehr akademisch ist und den besonderen Rahmenbedingungen der öffentlichen Hand nicht unbedingt Rechnung trägt. Aber dennoch muss klar sein, dass wir ohne diese Bereitschaft „EfA“ nie umsetzen und damit immer eine Vielzahl von Anwendungen zum gleichen Thema haben werden.

In den vergangenen Jahren konnten sich zahlreiche neue Technologien im Public Sector etablieren, die noch bis vor Kurzem undenkbar waren. Welche Rolle werden diese Technologien bei der künftigen Ausgestaltung der Öffentlichen Verwaltung spielen?

Die fortschreitende Digitalisierung durchdringt alle Bereiche unseres heutigen Lebens in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft. Sie vernetzt, flexibilisiert und beschleunigt, eröffnet neue Chancen und Möglichkeiten, aber bringt zugleich auch immer neue Herausforderungen mit sich.

Damit ist aber nicht die Digitalisierung zum Selbstzweck gemeint. Vielmehr verlangen wir doch alle Verwaltungsangebote, die online verfügbar sind, komplett über das Internet beantragt werden können und deren Bearbeitungsstatus jederzeit transparent abgerufen werden kann. Und das Ganze, um sich den Gang zur Behörde zu sparen und eine schnellere Erledigung sicherzustellen. Welche Technologie dabei zum Einsatz kommt, ist den allermeisten Menschen egal. Aussagen wie „Bürger sowie Unternehmen wünschen sich technologisch moderne und innovative Verwaltungsangebote“ halte ich deshalb für mehr als fragwürdig. Vielmehr halte ich es da mit dem früheren Vorstandschef von Telefonica Deutschland Thorsten Dirks „Wenn sie einen Sch…prozess digitalisieren, dann haben sie einen sch… digitalen Prozess."

Es ist niemandem gedient, Anträge online zur Verfügung zu stellen, die zwar technologisch innovativ umgesetzt wurden, aber weiterhin so komplex bzw. kompliziert sind, dass man sie ohne ein Jura- oder Verwaltungsstudium nicht ausfüllen kann. In erster Linie braucht es deshalb eine Vereinfachung der Verwaltungsprozesse und Anträge, die dann selbstverständlich so digitalisiert werden, dass sie von Bürger und Wirtschaft intuitiv bearbeitet werden können.

Technologien dürfen deshalb niemals zum Selbstzweck werden; sie sind immer nur ein Mittel zur Digitalisierung.

Dennoch ist die Frage erlaubt, ob es nicht Technologien gibt, die Ziele besser oder schneller (und damit kostengünstiger) erreichen als andere. Auf bewährte Technologien zu setzen – zumindest soweit sie die technologischen Rahmenbedingungen wie Webfähigkeit, Offenheit oder Wartbarkeit sicherstellen – hat zumindest den Vorteil, dass man keine Experimente und damit geringere Risiken eingeht.

Neue Technologien sind meist disruptiv. Sie eröffnen damit der Verwaltung ganz neue Möglichkeiten, zum Beispiel Softwareanwendungen viel schneller als gewohnt zu realisieren (Low Code), Routineprozesse und -entscheidungen zu automatisieren (Künstliche Intelligenz), die Bearbeitung von Anfragen zu unterstützen (Chatbots) oder eine höhere Transaktionssicherheit zu gewährleisten (Blockchain). Aber neue Technologien setzen auch viel voraus: eine hohe Bereitschaft, sich diese Technologien anzueignen, sich mit den Folgen auf alle Stakeholder auseinander zu setzen (z.B. hohe Energiebilanz von Blockchains, Ängste beim Einsatz von KI, etc.), eine Integration in die bestehende ITLandschaft sicherzustellen und bisherige Prozesse grundlegend anzupassen. Dabei ist gerade das letztere häufig nicht im Fokus, obwohl doch gerade neue Technologien genau das verlangen.

Statt dessen beobachten wir immer wieder das Gleiche: Es gibt einen unbändigen Willen, neue Technologien einzusetzen, weil man innovativ sein will, unabhängig davon, ob sie wirklich Nutzen stiften. Und noch einmal: Mit neuen Technologien eröffnen sich der Öffentlichen Verwaltung viele neue Chancen und Möglichkeiten. Ohne die Anpassung der Prozesse aber bleibt der Einsatz neuer Technologien ohne positive Effekte.